Humboldt-Universität zu Berlin - Digitale Medien – Projekte und Plattformen

Schulsportqualität durch Profilbildung

Zur motorischen Leistungsfähigkeit und zum Gewichtsstatus von Grundschülerinnen und Grundschülern an bewegungsorientierten Schulen Berlins ein Projekt mit multimedialer Gerätetechnik: Video-/Audiotechnik, Lichtschranke, Kraftmessplatte, Pulsmess-Systeme.

Dr. Sergio Ziroli

sergio.ziroli@rz.hu-berlin.de

HU Berlin | Institut für Sportwissenschaft | Dr. Sergio Ziroli | 9717-2585 | sergio.ziroli@rz.hu-berlin.de | Prof. Dr. Wolfgang Döring | 9717-2621 | wolfgang.doering@rz.hu-berlin.de

 

Täglicher Sportunterricht bewegte Schule: Eine Utopie wird Realität Während in vielen Bundesländern in Deutschland um die 3. Sportstunde gekämpft wird, verfügt Berlin über ein flächendeckend eingerichtetes Netz an sportbetonten Grundschulen mit täglichem Sportunterricht und vielfältigen weiteren Bewegungsmöglichkeiten und -anregungen für Kinder.
Können diese optimalen Rahmenbedingungen die landauf und landab von vielen Fachleuten übereinstimmend berichtete Zunahme der Zahl an Kindern mit Bewegungsdefiziten, Koordinationsstörungen, Wahrnehmungs- und Gewichtsproblemen und daraus resultierenden Gesundheitsbeeinträchtigungen verhindern bzw. zumindest reduzieren?
Ziel des am Institut für Sportwissenschaft angelegten Projektes Schulsportqualität durch Profilbildung ist es, die Auswirkungen zu überprüfen, die ein bewegter Lebensraum Schule mit täglichem Sportunterricht auf den motorischen Zustand und den Gewichtsstatus von Kindern hat.

Forschungsgegenstand: Sportbetonte Grundschulen Berlins
Das Berliner Grundschulprofil im Bereich Bewegung und Sport ist bundesweit betrachtet eine Besonderheit, weil es flächendeckend eingerichtet ist und der tägliche Sportunterricht keine Utopie, sondern Realität ist. Berlinweit existieren zurzeit 31 dieser bewegungsorientierten Grundschulen mit 40 sportbetonten Zügen. Ein sportbetonter Zug, der die Klassen 1 bis 6 umfasst, erhält in den Klassen 1 und 2 bei noch garantierten 3 Stunden Sport pro Woche eine zusätzliche Stunde, ab Klasse 3 werden noch weitere zwei Stunden Sport pro Woche hinzugefügt, so dass ein sportbetontes Kind von Klasse 3 an auf 6 Sportstunden pro Woche kommt. Der immer vorhandene nicht sportbetonte Zug umfasst die üblichen 3 Stunden Sport pro Woche.

Forschungsziel
- Überprüfung der Auswirkungen eines täglichen Sportunterrichts und eines bewegungsorientierten Schulkonzeptes auf den Gewichtsstatus und die motorische Leistungsfähigkeit

Forschungspopulation und -methoden
- 1427 Schülerinnen und Schüler aus 6 sportbetonten Grundschulen
- Ermittlung des Body-Mass-Index (BMI) und Einordnung in das Perzentil-BMI-Referenzsystem (2001) der AGA (Arbeitsgemeinschaft Adipositas der Deutschen Adipositas Gesellschaft)
- Münchner Fitnesstest (MFT) zur Beurteilung der koordinativen und konditionellen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler. Der Test besteht aus 6 Testaufgaben und ermöglicht eine Bewertung der Gesamtmotorik.

Forschungsstand
Die Prävalenz der Adipositas nimmt weltweit in allen Industrienationen zu. Dies zeigen nicht nur Erhebungen in der Schweiz, nach denen im Jahre 2000 16,1 Prozent der sechs bis zwölfjährigen Kinder adipös waren und 34,2 Prozent Übergewicht hatten. Auch die ersten Ergebnisse einer der neuesten und weltweit größten Adipositas-Studien, der Kieler Adipositas Präventionsstudie, an der bisher über 6000 Kinder partizipierten, belegen, dass über 20 Prozent der Erstklässler übergewichtig sind. Nachuntersuchungen belegen darüberhinaus, dass der Anteil bei den Zehnjährigen bereits bei 35 Prozent liegt. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse lässt sich nachvollziehen, dass Adipositas in unterschiedlichsten Kreisen als die Epidemie des 3. Jahrtausends bezeichnet wird.
Die Datenlage zur motorischen Verfassung von Kindern ist nicht weniger alarmierend. Viele vorliegende Untersuchungen belegen den sich verschlechternden Zustand körperlicher Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Hauptgründe für die nachlassenden Körperfähigkeiten, wie die damit eng zusammenhängende Steigerung der Anzahl an übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen, sind nach allgemeiner und mittlerweile vielfach umschriebener Auffassung eine Veränderung der Lebensbedingungen und Umwelt der Kinder. Sie ist heute gekennzeichnet durch Urbanisierung, eine verstärkte Mediatisierung, Massenkonsum und eine erlebnis- und bewegungsarme Umwelt. Der motorische Zustand der Kinder wird in vielen Studien als mangelhaft bewertet.

Forschungsergebnisse
Betrachtet man die Gesamtgruppenergebnisse zum Gewichtstatus der Kinder, kann man deutlich erkennen, dass der Anteil an übergewichtigen als auch adipösen Kindern an den bewegungs- und sportorientierten Grundschulen weitaus geringer ist, als Forschungsergebnisse zum Thema und zur Altersgruppe von Grundschülerinnen und -schülern anzeigen. Auch der Vergleich mit vorliegenden Erhebungsdaten aus Gesundheitsberichten der Bezirke Berlins bestätigen diese Feststellung. So waren z.B. laut dem Gesundheitsbericht 2001/2002 Berlin-Mitte 12,2 Prozent der Kinder in Tiergarten und sogar 21 Prozent der Weddinger Einschüler adipös.
Der Vergleich des Gewichts von sportbetonten und nicht sportbetonten Schülerinnen und -schülern zeigt, dass der Anteil an Übergewichtigen bis Adipösen in den Klassen 1 und 2 in den sportbetonten und nicht sportbetonten Zügen ähnlich ist. Die erheblichen Unterschiede zeigen sich ab Klasse 3 und bleiben bis in Klasse 6 bestehen. Hier sind deutliche zeitliche Parallelen mit der Aufstockung auf 6 Sportstunden pro Woche für sportbetonte Schülerinnen und Schüler ab Klasse 3 zu erkennen. Der Zusammenhang mit dem Aufkommen von Übergewicht ist evident. Die tägliche Sportstunde wirkt sich sehr positiv auf den Gewichtsstatus der Kinder aus, und zwar sowohl für Mädchen wie auch für Jungen, weil keinerlei geschlechterbedingte Unterschiede nachgewiesen werden können.
Die ermittelten Resultate der Kinder beim durchgeführten Motoriktest zeichnen ein sehr positives Gesamtbild der motorischen Leistungsfähigkeit der untersuchten Schülerinnen und Schüler. Im Gegensatz zu den Ergebnissen vorliegender Studien, die die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern als mangelhaft bzw. sich verschlechternd diagnostizieren, ist die Leistungsfähigkeit der Gesamtschülerschaft an den untersuchten Schulen in Anlehnung an die Bewertungsskala des Münchner Fitnesstests als befriedigend einzustufen. Dies weist auf die positiven Auswirkungen eines bewegungsorientierten Schulkonzeptes hin. Zudem zeigt sich, dass die Kinder mit täglichem Sportunterricht (sportbetont) in den meisten Fähigkeitsbereichen signifikant besser sind als Kinder mit nur 3 Sportstunden (nicht sportbetont) pro Woche.