Humboldt-Universität zu Berlin - Digitale Medien – Projekte und Plattformen

Zeitabschnitte

Das Schicksal einer ganzen Bevölkerungsgruppe durch ein Einzelschicksal fassbar zu machen und sich gemeinsam mit einem der letzten Zeitzeugen des Holocaust aktiv für Toleranz, Demokratie und Völkerverständigung einzusetzen: das war die Intention des Studenten Christian Ender, als er im Rahmen eines kulturwissenschaftlichen Seminars bei Frau Prof. Dr. von Braun den Dokumentarfilm „Zeitabschnitte“ drehte. Werner Bab berichtet hier als Zeitzeuge detailliert und offen über seine Erfahrungen während des Nationalsozialismus und gewährt Einblicke in seine Lebensumstände als jüdischer Mitbürger zu Beginn des 2. Weltkrieges und den Alltag im Konzentrationslager Auschwitz.

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Christian Ender

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Ausgangslage
Das individuelle Erinnern befindet sich im Übergang. Entweder gehen Erinnerungen verloren oder sie werden durch Speicherung für die Zukunft gesichert und so für die Aufnahme in das kulturelle Gedächtnis bereitgestellt. Deswegen kommt der so genannten „Oral history“, einer Forschungstechnik, die vor allem zur Erforschung von Zeitgeschichte eingesetzt wird, in den letzten Jahren eine tragende Rolle zu: denn die letzten Zeitzeugen des Holocaust werden nur noch wenige Jahre über ihre Erinnerungen berichten können. Will man den Komplex des Antisemitismus weiter erforschen und den Zugang zu Holocausterfahrungen erhalten, sind diese unentbehrlich. Viele Berichte über die Dimensionen des Holocaust, die Beschreibung örtlicher Vorkommnisse, zum Beispiel in Auschwitz, waren aufgrund vernichteter Schriftstücke nur über mündliche Befragungen zu erhalten. Auch kann durch diese Methode ein Zugang zu einer inneren Struktur im Rahmen einer „objektiven“ äußeren Geschichtsschreibung gefunden werden: die Wahrnehmung der Informationen der unmittelbar Betroffenen.

Planung
Über das Jüdische Museum Berlin lernten sich Werner Bab und Christian Ender kennen. Werner Bab ist Zeitzeuge des Holocaust und konnte mit viel Glück die Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen, Melk und Ebensee überleben.
Gemeinsam planten sie die Erstellung eines Dokumentarfilms wider das Vergessen. Damit ist die Möglichkeit einer Verwendung der so gespeicherten Erinnerungen Werner Babs gegeben, um auch zukünftig durch Aufklärung gegen Antisemitismus, Rassismus, Militarismus und für die Achtung der Menschenrechte, Toleranz, Demokratie und Völkerverständigung aktiv einzutreten. Zum Erreichen einer breiten Öffentlichkeit waren Zeitzeugengespräche mit Werner Bab im Anschluss an eine Filmvorführung in Schulen, Universitäten, Museen und anderer Institutionen sowie Fernsehausstrahlungen des Dokumentarfilms geplant.

Umsetzung
In Vorbereitung einer ersten Begegnung mit Werner Bab besuchte Christian Ender die ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen, Melk und Ebensee und fertigte erste Filmaufnahmen an. Ab Herbst 2003 konnte Werner Bab interviewt und am 27.1.2005 zu den Gedenkfeiern der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz vor 60 Jahren an diesen Ort begleitet werden.
Hieraus entstanden sieben Kurzfilme sowie ein Zusatzfilm. Dieser und der Hauptfilm liegen in neun verschiedene Sprachen auf DVD vor und berichten nicht nur detailliert über den Lageralltag, sondern erklären auch, wie es zum Beispiel zum Tätowieren der Häftlinge in Auschwitz kam. Hintergrund der Übersetzung ist die Hoffnung auf breitere Rezeption und Erreichung von Schülern und Familien, die ansonsten keinen Zugang zu diesem Themenfeld gefunden hätten.
Der Film mit anschließender Diskussion konnte neben Vorführungen in Schulen auch im Rahmen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ 2005 und 2006 im Jüdischen Museum Berlin, in der Humboldt-Universität zu Berlin, in einer Kirche in Göttingen, der Yale University, im Goethe Institut Santiago de Chile und Sao Paulo sowie beim RJC in Delray Beach (Miami) gezeigt werden. Im Museum of Tolerance in New York, wo der Film „Zeitabschnitte“ in Kooperation mit der Repräsentanz der Humboldt-Universität der New Yorker Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war Herr Bab persönlich anwesend.
Die Fernsehsender XXP, ZDF- Dokukanal und Phoenix strahlten diese Dokumentation bereits aus und Yad Vashem hat diese in seine Ausstellung des Visual Centers übernommen. Herr Werner Bab bekam für sein Engagement für Toleranz, Demokratie und Völkerverständigung am 16.5.2006 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Das gesamte Interviewmaterial wird Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt.

Evaluation
Wie viele Menschen von der Lebensgeschichte Werner Babs tief berührt sind, zeigte sich in Göttingen, wo zu einer Veranstaltung über 250 Bürger kamen. Um Nachhaltigkeit zu erreichen wurde die Internetpräsenz www.imdailog-ev.org mit einem virtuellen Gästebuch aufgebaut. Interessenten und Besuchern von Veranstaltungen soll dort die Möglichkeit gegeben werden ihre Reflektionen, Gedanken und persönlichen Erfahrungen im Kontext dieses Erinnerungsbereichs niederzulegen. Um auch in Zukunft Zeitzeugengespräche organisieren zu können, wurde der Verein „imdialog! e.V.“ gegründet.