Humboldt-Universität zu Berlin - Digitale Medien – Projekte und Plattformen

The Incredible Shrinking City. Demographischer Wandel und Stadtumbau

Die perforierte Stadt, die schlanke Stadt, die Präriestadt - es mangelt nicht an Ideen für mögliche neue Leitbilder in einer neuen Phase der Stadtentwicklung, deren Verlauf in der Moderne noch unvorstellbar schien. Gleichzeitig ist eine große Unübersichtlichkeit zu beklagen, gefördert durch die Komplexität des Problems. Die Fertilität bzw. das generative Verhalten, regionale Arbeitsplatzangebote, Binnenwanderungen, Suburbanisierung, Immigration - alles scheint irgendwie mit allem zusammenzuhängen. Sich dieser Komplexität sowie der Vielfalt der Ideen aus geographischer Perspektive anzunähern und eigene Beiträge zu diesem wichtigen Zukunftsthema zu entwickeln, ist das Ziel des Seminars "The Incredible Shrinking City".

Dr. Olaf Schnur

olaf.schnur@rz.hu-berlin.de http://www.geographie.hu-berlin.de/hu/bevgeo/leute/schnur.html

2093-6852 | Abteilung Bevölkerungs- und Sozialgeographie

 

Die Themen "Alterung", "Schrumpfung" und "(sozio)-demographischer
Wandel" haben in Deutschland seit einigen Jahren Hochkonjunktur - von
den sozial- und volkswirtschaftlichen Auswirkungen (etwa auf die
Sozialversicherungssysteme) bis hin zum Thema "Neue Wohnformen im
Alter". Durch die EnquÍte-Kommission Demographischer Wandel wurde der
Boden für umfangreiche Begleitforschungen bereitet und das Thema
stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert.
Auch im Stadtentwicklungskontext wird dazu seit einiger Zeit verstärkt
geforscht und konferiert, denn der "Club der wachsenden Gemeinden wird
kleiner und kleiner werden" (Mäding 2003: 5). E. Niejahr beschreibt die
Situation überaus plastisch in der Zeit (2003): "Was der demographische
Wandel für Deutschland bedeutet, lässt sich mit einem Radiergummi
vorführen. Man stelle sich vor, auf einer Deutschlandkarte würde ein
Ort nach dem anderen ausradiert: erst Lübeck, dann Magdeburg,
schließlich Erfurt und Kassel. Ungefähr 208201;0000 Einwohner müssten
die Städte haben, denn so stark schrumpft nach Prognosen der Vereinten
Nationen pro Jahr die Bevölkerung Deutschlands. Am Ende der kleinen
Vorführung wäre das Jahr 2050 erreicht. Die Landkarte hätte 47 blanke
Stellen. Wo Städte eingezeichnet waren, sind jetzt nur noch weiße
Flecken übrig."
Dennoch widersprechen manche Autoren der These, dass das Thema "in
aller Munde" sei: "Nicht wirklich, würde man im neuen Deutsch sagen.
Aktuell schon, brisant auch - aber reden darüber: eher nicht. In
Öffentlichkeit und Politik ist das Thema noch nicht angekommen und die
Fachwelt scheint sehr lange geschlafen zu haben und erwacht nun umso
hektischer" (Selle 2003: 157). Auch wenn es wenig wahlkampftauglich
klingen mag, muss sich auch die Kommunalpolitik mit der Gewissheit
anfreunden, dass die gängige Assoziation "Stadt" und "Wachstum"
hierzulande tatsächlich ein Auslaufmodell darstellt. Ab etwa 2015 wird
es auch im Westen Deutschlands nur noch sehr wenige wachsende Städte
geben. Der sozio-demographische Wandel wird dann im kommunalen Bereich
zunehmend eine "kleinräumige Unübersichtlichkeit" (Mäding 2003: 4)
verursachen.
Während noch einigermaßen klar prognostiziert werden kann, welche
Regionen bis wann wachsen werden, ist dies auf der lokalen Ebene völlig
unsicher. Dabei ist weder klar, wo, wann und in welcher Form der
"demographische Impact" innerhalb der Stadtregionen stattfinden wird,
noch gibt es bislang konsensuale Vorstellungen davon, wie man mit den
zu erwartenden Dynamiken umgehen will oder kann. Dennoch gibt es
zahlreiche Studien zum Thema und Modellprojekte in schrumpfenden
Städten, die unter den Begriffen "Stadtumbau Ost" und "Stadtumbau West"
zusammengefasst werden können. Hinter diesem Schlagworten verbergen
sich zudem zwei planungspolitische Förderprogramme, die wiederum eine
Subventionsnachfrage erzeugen. Schnell beginnt man sich zu fragen: Ist
denn auch wirklich "Stadtumbau" drin, wenn "Stadtumbau" draufsteht? Wer
verfolgt welche politischen Interessen in einem Feld, auf dem derzeit
recht aussichtsreich Mittel akquiriert werden können?
Ein Hauptziel des Seminars, das eher den Charakter eines Workshops für
fortgeschrittene Studierende haben soll, ist es, dieses
interdisziplinäre, komplexe Themenfeld zu erschließen, es in der
Geographie zu verorten und über die gängigen "Stadtumbau-Etiketten"
hinaus zu analysieren und zu strukturieren. Über die Seminartermine
hinaus soll über die seminarinterne Internetplattform "Moodle" ein
kontinuierlicher Kontakt sowie ein Sammeln und Austauschen von
Materialen (insbesondere auch von Internet-Links) gewährleistet werden.